Die Türkei im Ausnahmezustand: Auswirkungen auf internationale Unternehmen und die Wirtschaft
Die Euphorie über die Niederschlagung des Putschversuches vom 15. Juli 2016 war groß. Zum ersten Mal wurde eine militärische Intervention durch Zivilisten aufgehalten. Mit der anschließenden Verhaftungswelle agiert die Regierung jedoch nicht transparent und man weiß nicht, nach welchen Kriterien sie vorgeht. Auch internationale Unternehmen sind vom andauernden Ausnahmezustand betroffen. Jedoch könnte Österreich als Investitionsstandort für türkische Unternehmen an Bedeutung gewinnen.
Der Diskurs nach dem Putschversuch war in der Türkei ein anderer als in Europa
Die Situation in der Türkei ist vielschichtig zu beurteilen. So war die Euphorie über die Niederschlagung des Putschversuches größer als die Sorge um deren Ableitung von autoritärer Politik. Die Freude dominierte! Die türkische Bevölkerung ist stolz darauf, dass zum ersten Mal in der türkischen Geschichte eine militärische Intervention durch zivile Kräfte aufgehalten wurde. Die Ereignisse und Verhaftungswellen danach, sind auch auf mehreren Ebenen zu sehen. So sind unpolitische Bürgerinnen und Bürger von all den Verhaftungen unberührt geblieben.
Die Regierung agiert nicht transparent
Erstaunlich ist, dass der andauernde Ausnahmezustand kaum bemerkbar ist – weder durch ein erhöhtes Sicherheitsaufkommen z.B. am Flughafen, oder sonst wo. Der Ausnahmezustand kann physisch nicht festgemacht werden. Auch ist auf der Straße nicht mehr Polizei. Für Gülen-nahe Personen ist es jedoch sehr wohl spürbar. Die anschließenden Verhaftungswellen wären unter normalen Bedingungen nicht möglich. Es ist auch nicht klar, nach welchen Kriterien Menschen verhaftet werden, die Regierung agiert nicht transparent. So wurde man mit einem Aufwasch auch anderer wie z.B. kurdischen Fernseh- und Radiosendern, entledigt.
Nicht blenden lassen vom Bruttoinlandsprodukt(BIP)!
Dr. Leitner stellt fest, dass das türkische Wirtschaftswachstum durch inländischen Konsum getrieben ist, und man sich daher nicht von der BIP-Leistung blenden lassen soll. So hat die Türkische Lira seit Mai 2016 1/3 ihres Wertes verloren. Die türkische Wirtschaft ist von ausländischen Investitionen abhängig, um ihr Leistungsbilanzdefizit zu schließen.
Österreichisch-Türkische Investitionsströme sind asymmetrisch!
Österreich ist unter den Top Investoren in der Türkei, das ist aber auf Effekte einiger weniger, großer Investitionen österreichischer Unternehmen in der Türkei zurückzuführen. Umgekehrt jedoch spielt Österreich für türkische Unternehmen als Investitionsstandort eine unbedeutende Rolle. Die türkischen Unternehmen orientieren sich nach größeren Absatzmärkten wie Deutschland, Großbritannien oder Frankreich. Österreich ist nur in einigen Nischen, wie z.B. Elektra Bregenz, zum Zug gekommen. Im Vergleich zu anderen Ländern ist auch die türkische Community hier zahlenmäßig nicht so attraktiv wie z.B. in Großbritannien oder Deutschland.
Wie sind Unternehmen vom Ausnahmezustand betroffen?
Türkische Unternehmen sind durch den Ausnahmezustand sicher direkter betroffen –Zwangsenteignungen – als internationale Unternehmen. Denn abseits von juristischen Möglichkeiten ist die Türkei daran interessiert, als attraktiver und sicherer Investitionsstandort zu gelten. Die türkische Wirtschaft ist auf Auslandsinvestitionen angewiesen, um ihr Leistungsbilanzdefizit zu finanzieren. Dennoch, folgende drei Bereiche sind aus Unternehmenssicht vom Ausnahmezustand betroffen:
- Arbeitsrecht: Entlassungen sind nur unter strengeren Bedingungen erlaubt (z.B. Antritt der Pension, Kündigung durch die/den Arbeitnehmerin/-nehmer).
- Investitionsabsicherung: Internationale Investitionen werden praktisch kaum betroffen sein, aus den oben genannten Gründen. Zusätzlich werden Investitionen durch bilaterale Investitionsabkommen zwischen der Türkei und Österreich, sowie durch internationale Rechtsnormen geschützt.
- Allgemeine Rechtsunsicherheit: Wie handlungsfähig sind Bürokratie und die Justiz angesichts der massiven Entlassungswellen? Die permanente Unsicherheit schreckt Investoren ab, bzw. veranlasst Unternehmen das Land zu verlassen.
Für 2016 wird befürchtet, dass es das schlechteste Jahr für ausländischen Direktinvestitionen (FDI) sein wird. So haben Unternehmenszusammenschlüsse und -käufe radikal abgenommen. Auch türkische Unternehmen investieren deutlich weniger als zuvor.
Orientalische Vorurteile bei österreichischer Berichterstattung
Cengiz Günay kritisiert die österreichische Berichterstattung und wirft ihr orientalische Vorurteile vor. So habe er das Gefühl, dass die österreichischen Medien froh sind, dass es mit Präsident Erdoğan einen Machthaber gibt, dem die Massen folgen. Mit Begriffen des Orientalismus wie „Sultan“ oder „Pascha“ wird um sich geworfen. Jedoch hat das, was derzeit in der Türkei passiert, nichts mit dem Orient zu tun: siehe Ungarn. Der Westen nimmt Präsident Erdoğan nicht als Demokrat wahr. Viele europäische Politikerinnen und Politiker mögen ihn auch persönlich nicht. So ist es beschämend, dass erst nach 7 Wochen die EU-Türkei-Gespräche begonnen haben.
Investitionsstandort Österreich könnte an Bedeutung gewinnen!
Jedoch könnte Österreich als Investitionsstandort an Bedeutung gewinnen, da es als politisch stabiles und neutrales Land als Hafen für türkische Unternehmen eine Rolle spielen könnte. Aber Österreich wird auch, aufgrund von einigen Fällen (Stichwort: Flughafen Wien oder komplizierter Visumsbeantragung) als rassistisches Land wahrgenommen.
Die EU und die Türkei brauchen einander!
Knapp 65% der türkischen Exporte gehen nach Europa. Hier ist es klar, die Türkei braucht die EU. Langfristig kann es aber zu unterschiedlichen Entwicklungen kommen. Die Türkei war bis vor kurzem ein Wachstumsmarkt nahe an Europa. Die EU kann aber auch nicht auf den geostrategisch wichtigen Partner (Stichwort: Flüchtlingsdeal) verzichten. So kann sie auch über die Beitrittsgespräche Einfluss üben. Jedoch spielt der EU-Beitritt derzeit in der türkischen Öffentlichkeit keine Rolle.