Rechtsunsicherheit, Klientelismus und Korruption: Der gefährliche Trend zu autoritärer Herrschaft.

Premierminister Viktor Orbán (Foto: MIT Pressebüro des Premierministers)

Die gegenwärtige Covid-19 Krise nützt so mancher autoritärer Herrscher dafür, einmal mehr die vermeintlichen Vorzüge nicht-demokratischer Herrschaftssysteme zu betonen. Auf schnellem Weg, zentral gesteuert, ließen sich wichtige Entscheidungen ohne Diskussion und „Wenn und Aber“ treffen. Die Sichtweise ist nicht neu und findet sich auch in der Diskussion zu Chancen und Risiken multinationaler Unternehmen in autoritären Systemen. Auch dort stößt man auf das Argument, Unternehmen würden unter bestimmten Bedingungen nicht-demokratische, zentralistisch gesteuerte Länder bevorzugen, da Geschäfte durch direkten Zugang zum Präsidenten schneller und leichter angebahnt und durchgeführt werden könnten. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite stehen Korruption und Klientelismus, defizitäre Rechtstaatlichkeit und eine mangelnde Garantie der Eigentumsrechte. Diese systemtypischen Faktoren zählen wiederum zu den gravierendsten politischen Risiken, denen sich multinationale Unternehmen regelmäßig ausgesetzt sehen.

Um diese Zusammenhänge zu beobachten, bedarf es nicht unbedingt eines Blicks weit nach Osten in den postsowjetischen Raum oder nach China. Es reicht schon eine genauere Beschäftigung mit den ostmitteleuropäischen EU-Staaten. In einem Beitrag in der Financial Times vom 25. Februar zur Justizreform in Polen warnte beispielsweise Agata Gostyńska-Jakubowska vom Centre for European Reform, dass sobald in einem Mitgliedsstaat die Rechtstaatlichkeit untergraben wäre, andere Mitgliedsstaaten nicht mehr sichergehen könnten, dass die Rechte ihrer Bürger und Bürgerinnen und Unternehmen respektiert würden. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür liefert auch Ungarn, wo sich Orbán gerade in diesen Tagen als zentraler Krisenmanager zelebriert und im selben Handstreich seine Macht durch Ausschaltung des Parlaments weiter auszubauen versucht.

Der Umbau eines Staates

Nachdem Ungarn zunächst einen sehr erfolgreichen Transformationsweg zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit beschritten und in diesem Kontext gerade für europäischen Unternehmen sehr attraktive Rahmenbedingungen geboten hatte, begann zwischen 2010 und 2012 ein tiefgreifender Umbau des Staates. Das unter Orbán etablierte „System der Nationalen Zusammenarbeit“ betrifft nicht nur politische und soziale Bereiche, sondern gerade auch wirtschaftspolitische Belange. Nach Jahren eines orchestrierten Zusammenspiels der Gesetzgebung und Rechtsprechung unter der autoritären Wegweisung Orbáns und seiner Partei Fidesz gilt Ungarn heute als defekte beziehungsweise illiberale Demokratie (BTI 2018). Im wirtschaftspolitischen Bereich ist damit eine dominante Bürokratie und eine geschwächte Gewaltenkontrolle verbunden.

Die ideologische Grundlage des Systems liefert der proklamierte nationale Abwehrkampf gegen die Effekte der Globalisierung, der Dominanz westlicher Unternehmen in der Phase der Wirtschaftstransformation, nicht regulierter Märkte und der europäischen Integration. Als Gegengewicht zu den Feinden Ungarns, die in der angeblichen Allianz zwischen ausländischem Kapital (vorrangig Banken), George Soros und EU-Bürokraten verortet werden, wird auf populistische Weise ein staatlich betriebener Wirtschaftsnationalismus betrieben. Dieser fällt bei großen Teilen der Bevölkerung auf fruchtbaren Boden und trägt so zur fortdauernden Unterstützung der Regime Orbáns in der Bevölkerung seit 2010 bei. Für europäische Unternehmen sind damit drei signifikante politische Risikofaktoren verbunden.

Politische Risikofaktoren in Ungarn

Der erste Faktor ist im radikalen Politikwechsel des Landes zu verorten. Im Zusammenspiel von Fidesz und Parlament wurden neue Gesetze erlassen, die nationale Unternehmen auf Kosten „ausländischer“ Unternehmen stärken. Dies bekam zum Beispiel der Lebensmitteleinzelhandel zu spüren, der von multinationalen Unternehmen wie Tesco, Spar und Auchan dominiert ist. So wurde zur Überwachung der Nahrungsmittelkette eine neue Abgabe eingeführt, die progressiv ansteigt. Je größer das Unternehmen ist, desto mehr Steuern zahlt dieses also im relativen Verhältnis. Dadurch sind letztlich die großen internationalen Unternehmen benachteiligt.

Der zweite Faktor ist in der mangelnden Rechtssicherheit zu verorten. Mit dem steigenden Maß, mit dem sich das oberste Gericht des Landes (Kúria) dem Regierungswillen unterordnet, haben die Möglichkeiten zu Überprüfung und Abwehr unverhältnismäßiger beziehungsweise nicht-rechtmäßiger Angriffe gegenüber Unternehmen abgenommen. Dies war nicht zuletzt bei der Umstrukturierung des Glücksspielmarktes zu beobachten, der in den Jahren 2011 bis 2013 mittels gesetzgeberischer Maßnahmen vollzogen wurde. Die Maßnahmen hatten zum Ziel, alteingesessene Unternehmen vom Spielautomatengeschäft auszuschließen und den Markt in die Hand selektierter Unternehmen zu geben. Von den Einschnitten betroffen war beispielsweise die kalifornische Continental Holding Corporation, deren Lizenz fristlos und ohne Entschädigung entzogen wurde, obwohl diese den neuen rechtlichen Vorgaben nachgekommen war. Auch die Maltesische Unibet International Ltd. bekam das politische Risiko zu spüren, als die oberste Aufsichtsbehörde für das Glückspiel die Webseite des Unternehmens sperren ließ und mit der Begründung, das Unternehmen hätte keine Betriebslizenz in Ungarn, eine Geldbuße verhängte.

Die beiden skizzierten politischen Risikofaktoren stehen in unmittelbaren Zusammenhang mit einem dritten Faktor, der als systematischer Klientelismus bezeichnet werden kann. Letztlich werden unter Orbán in korrupter Manier Unternehmerzirkel begünstigt, die ihm und Fidesz nahestehen. Beobachtet werden konnte dies beispielsweise im Zuge der Restrukturierung des Tabakmarktes. Dieser war seit der Öffnung des Landes von großen Unternehmen wie British America Tobacco, Phillip Morris und Imperial Tobacco dominiert. Die in ungarischer Familienhand befindliche Continental Tobacco Group hatte diesen gegenüber lediglich einen marginalen Marktanteil. Dies änderte sich maßgeblich, als 2012 ein neuer Gesetzesakt verabschiedet wurde, der offiziell das Rauchen unter jungen Personen reduzieren sollte. Dies geschah auf Treiben des Kanzleramtsministers János Lázár. Dieser pflegte engen Kontakt zu János Sánta, dem Eigentümer der Continental Tobacco Group. Durch das neue Gesetz wurde ein staatliches Vertriebsmonopol für Tabak geschaffen. Die Ausschreibung und Vergabe von Konzessionen auf zwanzig Jahre erfolgte sodann auf höchst intransparente Weise. Fakt ist, dass Fidesz und der Continental Tobacco Group nahestehende Personen eine beträchtliche Anzahl an Konzessionen gewannen.

Die Zusammenhänge zeigen, dass Unternehmen, die nicht Teil der regierungsnahen Kartelle sind, keine realen Wettbewerbschancen haben. Vergabeprozesse erfolgen vielmehr auf der Basis von Parteiloyalitäten. Umgekehrt laufen nicht genug vernetzte Unternehmen Gefahr, mittels Enteignungen und schädigender Gesetzesakte gravierende Nachteile zu erleiden. Dies gilt ganz besonders für multinationale Unternehmen, denen es häufig an Wissen mangelt, wie mit dem lokalen Machtgeflecht aus Politik und Wirtschaft umzugehen ist. Zwar mögen in autoritären Herrschaftssystemen einige multinationale Unternehmen vom direkten Zugang zum Präsidenten profitieren. Doch gilt das in der Regel lediglich für die spezielle Konstellation einer Win-Win-Konstellation zwischen herrschender Elite und Unternehmen. In vielen Fällen wiegen Rechtsunsicherheit, Klientelismus und Korruption so schwer, dass Geschäftstätigkeiten in den betroffenen Ländern erst gar nicht aufgenommen werden. Solche Konstellationen erweisen sich zudem als langlebig, ist die Gewaltenteilung erst einmal ausgehebelt und hat sich eine Wechselbeziehung zwischen Politik und lokalem Kapital eingestellt.

Dr. Hannes Meißner ist Lehrbeauftragter an der Universität Wien und Senior Researcher und Lektor im Kompetenzzentrum Schwarzmeerregion (FH des BFI Wien).

Dr. Johannes Leitner ist Leiter des Kompetenzzentrums Schwarzmeerregion (FH BFI Wien).