Politische Risiken in der Ukraine: Die größten Probleme sind hausgemacht

Johannes Leitner / Hannes Meissner

Hotel Ukraine in Kiev

In der Wahrnehmung von Managerinnen und Managern internationaler Unternehmen in der Ukraine bestimmen zwei Politische Risiken ihr Entscheidungsverhalten. Einerseits ist die bilaterale Krise mit Russland von Bedeutung, wobei hier die Annexion der Krim und vor allem der Konflikt in der Ostukraine relevant sind. Diese beiden Konfliktzonen hatten und haben auf zwei Ebenen Einfluss auf internationale Unternehmen. Erstens hatten beide Konflikte einen unmittelbaren militärischen Einsatz zur Folge, der wiederum – neben den tragischen Schicksalen der Menschen – mit Gebiets-, also Marktverlusten für die Unternehmen einherging. Diejenigen internationalen Firmen, die in der Ostukraine und auf der Krim präsent waren, waren gezwungen, sich neu zu orientieren und ihre Absatzmärkte, ihre Beschaffungsmärkte oder aber auch ihre Lieferketten neu zu strukturieren. Dieser unmittelbare, militärische Effekt war gleichzeitig ein Effekt, auf den rasch reagiert werden musste, aber der gut zu kalkulieren war. Für die Unternehmen wurden neue Szenarien und Business Modelle entwickelt, in denen die Krim für das ukrainische Geschäft keine Rolle mehr spielt, ebenso wurde die Ostukraine ausgeklammert.

Neben diesem kurzfristigen Effekt hatte die Krise mit Russland zweitens einen ökonomischen Effekt mit ausgelöst, der weitreichender und langwieriger ist. Unter anderem der Währungsverfall, der Beinahe-Kollaps des Finanzsektors und die Kosten des Militäreinsatzes führten zu einer ökonomischen Rezession, die für internationale Unternehmen schwieriger zu managen war und die auch langfristiger wirkte. Die Unternehmen mussten sich mit dieser Konsequenz des Politischen Risikos auch deutlich intensiver und nachhaltiger konfrontieren als mit den unmittelbaren Konsequenzen des Konflikts selbst, nicht zuletzt, weil die ökonomische Rezession sich nicht nur auf ein bestimmtes Teilterritorium der Ukraine beschränkte, sondern das ganze Land betraf.

Dennoch, überraschend war doch das Ergebnis, dass trotz aller dieser Problemlagen durch den Konflikt die hausgemachten, internen Politischen Risiken weit bedeutender zu sein scheinen als die externen Politischen Risiken. State Capture und die daraus resultierenden Politischen Risiken wie Systemische Korruption, Systematic (Dis-)Favouritism und Institutional Ambiguity sind nach wie vor relevante Faktoren, mit denen die internationalen Unternehmen zu kämpfen haben. Die relativ höhere Bedeutung dieser Faktoren im Vergleich zu externen Politischen Risiken erklärt sich eben gerade durch die Permanenz und die Präsenz von State Capture. Während die Gebietsverluste durch strategische Neuorientierung der internationalen Unternehmen verdaut wurden und auch die ökonomische Rezession ihre Talsohle wohl durchschritten hat, ist State Capture als Risikofaktor nicht beseitigt, er erhält somit in der Wahrnehmung der internationalen Managerinnen und Managern nach wie vor hohe Priorität.

Die Persistenz von State Capture und der damit verbundenen politischen Risikofaktoren liegt in dessen tiefer Verankerung im politischen und ökonomischen System betroffener Länder begründet. Gleichzeitig handelt es sich bei State Capture um ein Phänomen, das keinesfalls nur die Ukraine, sondern die allermeisten Entwicklungs- und Schwellenländer weltweit betrifft. In all diesen Ländern ist es privaten Eliten, wie Klans, Familien- und Freundschaftsnetzwerken, oder Businessgruppen in einem historischen Zeitraum gelungen, staatliche Positionen zu besetzen und ihre Vorherrschaft dauerhaft abzusichern. Ist erst einmal der Justiz- und Sicherheitsapparat unter Kontrolle, ist eine solche Konstellation allenfalls durch Revolutionen oder einen Putsch aufzubrechen. Doch selbst dann besteht die Gefahr, dass es im Endeffekt nur zu einer Verschiebung der Kräfteverhältnisse kommt. Die Ukraine ist ein gutes Beispiel hierfür. Gleichzeitig zeigen die Erfahrungen hinsichtlich der EU als Reformakteur die Grenzen externer Einflussmöglichkeiten auf.

Die gegenwärtige Konstellation aus externen und internen politischen Risikofaktoren und schwerer ökonomischer Krise stellen ohne Zweifel eine hohe Herausforderung für die Aktivitäten internationaler Unternehmen in der Ukraine dar. Entscheidend für den unternehmerischen Erfolg ist eine kompetente Analyse der politischen Risiken und das Ableiten der bestmöglichen Strategien um diese politischen Risiken optimal zu managen.

Dieser Beitrag geht auf das Forschungsprojekt „NEMESIS“ zurück.

Project Title: “Memory and Securitization in the European Union and Neighbourhood” (NEMESIS)

Co-funded by: Erasmus+ Programme of the European Union

Project Number: 565149-EPP-1-2015-1-RU-EPPJMO-NETWORK

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