Am 6. November traf ein hochkarätig besetztes Podium auf ein gleichermaßen interessiertes Publikum. Dabei wurde über die Frage diskutiert, ob sich das gemeinsame sowjetische Erbe, 30 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, noch immer auf die Nachfolgestaaten auswirkt.
 
Als Gäste waren geladen:
Eleonora Bachtiosina, Geschäftsführerin, Papenburg International Kasachstan
Karina Breitwieser, Unternehmensberaterin und Managerin eines Forschungsprojekts an der TU Wien
Viktoriya Zipper, Geschäftsführerin, Victory Cross Culture Consulting
 
Moderation:
Johannes Leitner, Leiter, Kompetenzzentrum Schwarzmeerregion, FH des BFI Wien
Hannes Meißner, Senior Researcher, Kompetenzzentrum Schwarzmeerregion, FH des BFI Wien

Protokoll der Diskussion

Einleitung Hannes Meißner
30 Jahre Mauerfall, 30 Jahre Transformation. Nach wie vor ist in den ehemaligen Sowjetunion-Staaten ein „Konzept des politischen Risikos“ zu beobachten. Wie gehen Unternehmen mit diesen Herausforderungen um?

Vorstellrunde Johannes Leitner
Gemeinsamkeit der Gäste am Podium: Sie alle sind Managerinnen und Unternehmerinnen mit einem sowjetischen Bezug, zwei von ihnen sind außerdem in ehemaligen Sowjetunion-Staaten aufgewachsen.

Eleonora Bachtiosina (EB): Extra aus Almaty angereist, das erste Mal in Wien zu Gast. Geschäftsführerin des deutschen Unternehmens Papenburg International Kasachstan, auch für Usbekistan bzw. Zentralalsien zuständig.

Karina Breitwieser (KB): Unternehmensberaterin und Managerin eines Forschungsprojekts an der TU Wien, war als Projektmanagerin für Waagner-Biro in Russland und Aserbaidschan.

Viktoriya Zipper (VZ): Geschäftsführerin von Victory Cross Culture Consulting, ist immer wieder auch Gastvortragende an der FH des BFI Wien. Gebürtige Ukrainerin.

Johannes Leitner: „Was hat sich in den vergangenen Jahren verändert in den ehemaligen Sowjetunion-Staaten? Welche Veränderungen haben Sie beobachtet?“

Eleonora Bachtiosina: Kam 2007 nach Kasachstan, damals wurde man als Frau in der Baubranche gar nicht wahrgenommen. Seit 2007 hat sich eigentlich nicht so viel verändert, schon seit Kindheitstagen gab es das Bild: Überall nur Männer in den Führungspositionen! Dieser Aspekt sich mittlerweile schon deutlich geändert in Usbekistan und Kasachstan.

Zum Thema „Planwirtschaft“: Das ist ein Sowjetunion-Begriff, davon will man wegkommen, das ist aber nicht so gut gelungen. Die Bemühungen, davon wegzukommen, sind eher leere Worte. Nach wie vor gilt: Wird eine bestimmte Ware um bspw. 300.000 € von Deutschland nach Usbekistan gebracht, dann darf dieselbe Ware nicht mehr billiger importiert werden. Selbst wenn man also dieselbe, gleichwertige Ware um 200.000 € von einem anderen Anbieter bekommen könnte, sind die 300.000 € gesetzt, daran wird die Besteuerung auch gemessen.

Man kann sagen, die oberste Regierungsebene will etwas ändern, die untere Riege weiß aber nicht, wie. Es ist unsicher, ob sich wirklich viel verändern wird, es sollte aber für westliche, europäische Unternehmen einfacher werden, dort zu arbeiten. 

Viktoriya Zipper: Es ist schwierig zu sagen, dass sich die gesamte Union geändert hat. Die Sowjetunion bestand aus vielen unterschiedlichen Ländern, das hat sich nicht überall gleich entwickelt.

Aus Management- und aus kultureller Sicht ist die Ukraine sicher mehr in Richtung Westen gerückt. Das ist vermutlich aber vor allem durch den Krieg geschehen – es ist eher zweifelhaft, ob es dieselben Entwicklungen ohne Krieg auch geben würde. Denn vor dem Krieg war die Ukraine ähnlich wie Russland unterwegs.

Es ist überraschend, wie schnell sich der Umgang der Ukrainer mit dem Westen nach dem Konflikt gewandelt hat. Die Ukraine ist in gewisser Weise gezwungen, sich am Westen zu orientieren, das spürt man.

In den baltischen Staaten war diese Annäherung an westliche Werte noch viel früher zu beobachten, da ist die Ukraine erst jetzt auf einem guten Weg.

Investoren, die in den 90er/2000er-Jahren in die Ukraine gegangen sind, waren sehr blauäugig. Es gab viel zu holen, aber niemand hat sich wirklich ausgekannt. Das ist heute anders. Wirtschaftlich betrachtet gibt es jetzt weniger Chancen.

Insgesamt muss man sagen, dass für 30 Jahre, die vergangen sind, ein bisschen zu wenig passiert ist.

Karina Breitwieser: Frauen haben es in der Baubranche immer noch nicht leicht, das hat sich also nicht geändert. Eine tolle Erfahrung war die 1-jährige Betreuung einer Baustelle mitten in St. Petersburg (Gazprom) – unglaublich bürokratisch, extrem viel Papier auch rund um die operative Abwicklung der Baustelle vor Ort. Als österreichisches Unternehmen dachte man bei Waagner-Biro, man sei Bürokratie gewöhnt. Dann ging man nach England und stellte schon fest, was Bürokratie wirklich ist. Russland war da aber noch einmal um einige Stufen extremer. „Russland ist Bürokratie zum Quadrat!“

Diese Bürokratie könnte Russland aber auch zum Vorteil nutzen, würde man das digital gut organisieren, wäre Russland Mitteleuropa weit voraus. Konkretes Beispiel: Bei einem Bauvorhaben muss ein Gebäudeteil von der ersten Planungsphase bis zum Abschluss immer haargenau denselben Namen tragen. Was als „Träger A“ in der Planung bezeichnet wird, muss von da an immer „Träger A“ heißen. Das durchzuziehen, war zu Beginn natürlich ein Learning, im Endeffekt ist es aber sehr konsequent.

Für ausländische Unternehmen ist es auch wichtig, um die extrem starken Netzwerke vor Ort in Russland zu wissen. Man muss akzeptieren, dass es die gibt und dass man sie nicht verstehen kann. Einerseits ist dieses starke Netzwerk sehr beeindruckend, weil es tatsächlich gelebt wird, andererseits macht es die Dinge für eine ausländische Firma (Stichwort „Vergabe“) auch sehr mühsam.

Eleonora Bachtiosina: Unser Unternehmen versucht, diesen Netzwerken entgegenzuwirken. Es gibt nämlich auch ein starkes Korruptionsnetzwerk.

Viktoriya Zipper: Man muss wissen, dass Netzwerken Teil der Kultur dieser Länder ist. Würde jeder für sich arbeiten, vor allem mit ausländischen Firmen, würden sie sich sehr verloren fühlen. In der Ukraine sind Vetternwirtschaft und Korruption immer noch sehr stark, sie werden aber schwächer. Verglichen mit Russland/Weißrussland ist die Ukraine da auf einem guten Weg, verglichen mit Europa wiederum, sind Vetternwirtschaft und Korruption schon noch deutlich vertreten, es ist also viel zu tun.

Johannes Leitner: „Welche Fähigkeiten muss man als Managerin in diesen Ländern mitbringen?“

Eleonora Bachtiosina: Das Studium in Deutschland war rückblickend betrachtet ein Gottesgeschenk, dadurch konnte man „die andere Welt“ kennenlernen, kannte also beide Seiten. Als rein europäische Managerin wäre es aber sicher auch schwieriger. Kennt man beide Welten, kann man die Kultur vor Ort verstehen, kennt die Menschen, weiß, wie sie ticken. Auch Sprachkenntnisse sind sehr wichtig. In erster Linie arbeitet man mit Menschen zusammen, also ist es wichtig, sie zu verstehen.

Sehr wichtig ist es, Geduld zu haben. Die Dinge passieren dort anders, als man es im Westen gewöhnt ist. Manches dauert einfach lange.

Insgesamt haben es also jüngere Leute, die z. B. aus Kasachstan in den Westen gehen, dort studieren, und dann wieder zurückkommen, leichter, weil sie beide Welten kennen. 

Karina Breitwieser: Was bei Gazprom sehr überrascht hat, war die Einstellung à la „Wir sind Gazprom, wir können uns alles wünschen. Und ihr müsst dann eben schauen, dass ihr das erfüllt.“ Mit Vernunft diskutieren, ist sinnlos. Man muss das bis zu einem gewissen Grad ertragen, einen Weg rundherum finden. Respekt für das Anderssein ist sehr wichtig.

Besondere Schwierigkeiten: für eine türkische Baufirma in Russland tätig sein. Problem: Haltung gegenüber den Türken war oft wirklich sehr grenzwertig, gleichzeitig sind die Türken sehr stolz. Das führt in Kombination dann schnell zu Problemen.

Eleonora Bachtiosina: Ähnliches Erlebnis: „Der Präsident hat bald Geburtstag, schauen Sie, dass die Straße bis dahin fertig ist.“ Das ist dann also wichtiger, als alles andere.

Karina Breitwieser: Ist in den Arabischen Emiraten aber genauso. In Russland war es immer ein Riesenevent, wenn Putin auf die Baustelle kam. Es musste alles perfekt sein.

Viktoriya Zipper: Das ist ein Phänomen, das bei allen Ländern mit hoher Macht, mit extremen Hierarchien, zu beobachten. Auch aus Kindheitstagen ist das so in Erinnerung.

Eleonora Bachtiosina: In der Kindheit so nicht beobachtet, aber Erinnerung an einen Putin-Besuch, für den extra Schächte entlang der Straße zuasphaltiert wurden, die dann am Tag nach dem Besuch wieder aufgerissen wurden.

Oder auch ein Erlebnis auf einer Baustelle in Kasachstan: Warten auf den Präsidenten, den ganzen Tag bei extremer Hitze ohne Wasser, ohne Schatten. Aber man vermutet, dass das die hohen Machthaber gar nicht wissen bzw. auch gar nicht so wollen, das ist die untere Ebene, die hier so extrem agiert.

Viktoriya Zipper: Ja, sie wollen überall Veränderungen, aber so schnell schaffen sie es nicht. Das musste auch der neue Präsident in der Ukraine feststellen (mit dem Fahrrad fahren, Economy Class fliegen, etc.). Die Veränderungen passieren nicht so schnell.

Karina Breitwieser: Als Baufirma muss man mit Geduld dennoch vorsichtig sein, es gibt ja trotzdem Fertigstellungstermine und die sind wichtig, auf deren Einhaltung wird sehr genau geschaut.

Eleonora Bachtiosina: Wichtiges Learning war, dass man nicht ganz loslassen darf, dass es besser ist, gleich zu kontrollieren. Aber auch nicht alles, das hält man nicht durch, das wird schnell zu viel. War auch bei mir selbst der Fall, vor Erschöpfung im Krankenhaus gelandet. Hier nach Wien bin ich mit großer Gelassenheit geflogen, obwohl ich auch nicht weiß, was mich erwarten wird, wenn ich zurückkomme.

Viktoriya Zipper: Ein wichtiger Rat für ManagerInnen vor Ort: Ohne zumindest eine/n Einheimische/n oder eine Person, die beide Welten kennt, kann es in der Ukraine nach wie vor nicht funktionieren für InvestorInnen. Wenn InvestorInnen offen für Unterstützung sind, wenn sie verstehen, dass es dort eine andere Welt ist, dann schaffen sie es.

Publikumsfrage: „Ist Englisch vor Ort ausreichend, um zu bestehen?“

Eleonora Bachtiosina: Immer mehr Leute sprechen in den ehemaligen Sowjetunion-Ländern Englisch, auch Deutsch bekommt immer größere Bedeutung.

Karina Breitwieser: Privat reisend ja, als Unternehmen braucht man unbedingt – auch in der Führungsebene – jemand, der die Landessprache versteht (ist z.B. auch bei Verhandlungen mit Lieferanten sehr wichtig).

Publikumsfrage: „Kommen mehr junge Leute aus diesen Ländern nach dem Studium auch wieder zurück?“

Eleonora Bachtiosina: Es gibt mittlerweile großes Potenzial bei den Einheimischen, weil deutlich mehr nach dem Studium im Westen zurückkommen und erkennen, dass sie auch daheim etwas erreichen können. Davon profitieren die Unternehmen enorm, weil dadurch auch viel Wissen kommt. So ist es z. B. in Kasachstan gelungen, die Betonbauweise beim Straßenbau durchzusetzen. 

Viktoriya Zipper: Durch ein Studium im Westen und eine Rückkehr ergibt sich erst eine Bewegung. Und diese Bewegung wiederum wurde ja nur durch die Öffnung vor 30 Jahren möglich. Dieses Bewusstsein „wir sollten von den Anderen etwas lernen, wir müssen die Kinder hinschicken“, das konnten erst nur die Oligarchen, nach und nach aber auch Nicht-Reiche. Sehr viele kommen jetzt also nach dem Studium zurück und verändern so Stück für Stück etwas.

Publikumsfrage: „Wie sieht es mit der Konkurrenz von europäischen Unternehmen und chinesischen Unternehmen vor Ort in der ehemaligen Sowjetunion aus?“

Eleonora Bachtiosina: Da ändert sich etwas, aber nur langsam. Lokale usbekische Unternehmen versuchen immer mehr, die chinesischen Waren abzulehnen, weil sie wissen, dass das zwar im ersten Moment billig ist, aber auch nicht lange hält. Das Problem aber ist, dass staatliche Unternehmen immer noch dazu tendieren, die billigsten Anbieter auszuwählen, und das sind dann chinesische Unternehmen.

Es gibt die Expertise in Usbekistan, das ist ein Gremium, das sicherstellen soll, dass staatliche Aufträge transparent und kostenschonend vergeben werden. An sich eine gute Sache, nur mischt sich die Expertise in alles ein, sagt dann aber eigentlich zu allem „Nein“, trägt also zu keiner Veränderung in diesem Bereich bei.

Auch in Kasachstan gibt es die Expertise, dort ist es aber dennoch gelungen, die Betonbauweise von Straßen durchzusetzen, dort ist es also leichter.

Publikumsfrage: „Wie ist die Situation in Georgien und Russland für europäische Unternehmen?“

Viktoriya Zipper: Georgien war sehr schnell mit dem Neustart, dort ist es leichter. Ist aber auch viel kleiner, Russland ist ein Riesenland, allein deswegen brauchen Veränderungen dort länger.

Der russische Markt ist auch nach der Ukraine-Krise sehr schwierig für europäische InvestorInnen. Ich dachte eigentlich, dass die positiven Veränderungen schneller kommen würden, aber das ist nicht passiert. Eigentlich ist es sogar noch schlimmer, weil alle Annäherungen an den Westen von vor der Ukraine-Krise jetzt wieder komplett weg sind.

Karina Breitwieser: Auch der Rubelkurs war ein großes Thema. Es hat sich ab einem gewissen Moment für viele europäische Unternehmen nicht mehr ausgezahlt, nach Russland zu gehen.

Eleonora Bachtiosina: Man kann sagen, die, die bleiben – das sind wenige – genießen es. Sie sagen sogar, dass es super läuft.

Viktoriya Zipper: Ja, das sind aber oft Unternehmen, die in Nischenbereichen tätig sind.

Eleonora Bachtiosina: Wir (Papenburg International) gehen momentan bewusst nicht nach Russland, es wäre eine zu wackelige Geschichte.

Protokoll: Tamara Schindler