Die Türkei nach dem Verfassungsreferendum: Die erhoffte Stabilität wird ausbleiben – auch für Internationale Unternehmen

Blogbeitrag von Dr. Johannes Leitner

Präsident Erdoğan verkündet ein knappes „Ja“ zur Verfassungsreform. Ob dadurch die politischen Risiken für Internationale Unternehmen geringer werden, ist zu bezweifeln.

Nun steht das Ergebnis fest. Offiziell stimmten 51,4% der Wahlberechtigten für eine Verfassungsänderung, die sich im Kern um die Stärkung des Amts des Präsidenten dreht. Recep Tayyıp Erdoğan hat damit eines seiner wichtigsten Ziele erreicht. Dabei hat er sich stets als Garant für Stabilität, Sicherheit und Wohlstand präsentiert und in seinen unzähligen Wahlkampfauftritten betont, dass nur die Verfassungsänderung dies auch weiterhin sicherstellt.

Großstädte gegen Präsidialsystem

Jedoch nehmen ihm das 50% der Wahlberechtigten nicht mehr ab. Selbst traditionelle AKP (AK Parti – Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) und Erdoğan Wählerinnen und Wähler folgten ihm nicht uneingeschränkt auf seinem Weg zum Präsidialsystem. Gerade auch die ökonomisch so wichtigen Zentren wie Istanbul, Izmir und Ankara sprachen sich mehrheitlich gegen eine Verfassungsänderung aus.

„Die demokratischste Wahl aller Zeiten!“

Die Opposition will das Ergebnis anfechten und spricht von Wahlmanipulation. Alleine die Tatsache, dass das Referendum während des nach wie vor aktiven und eben wieder verlängerten Ausnahmezustandes abgehalten wurde, wird von KritikerInnen als Annullierungsgrund angesehen. So wie der Termin des Referendums eine Flucht nach vorne war, so erklärte der Präsident umgehend, dass das Endergebnis feststehe, dass die Abstimmung die demokratischste war, die jemals –auch in Europa – stattgefunden habe und vor allem die internationalen WahlbeobachterInnen ohnehin befangen seien.

Die Börse in Istanbul, die türkische Lira und türkische Staatsanleihen reagierten durchwegs positiv auf die Nachricht, dass das Referendum zugunsten des Präsidialsystems ausgehen wird. Die AkteurInnen gehen anscheinend davon aus, dass das System Erdoğan für Stabilität, Berechenbarkeit und Sicherheit steht.

Jedoch ist klar, dass keine Informationen darüber vorliegen, wie diese ökonomischen Indikatoren bei einem „Nein“ zum Referendum reagiert hätten. Jedenfalls scheint eine Entscheidung besser als keine Entscheidung zu sein, auch wenn damit ein Weg in Richtung Machtkonzentration und Aushebelung der Checks and Balances beschritten wird. Die Erwartung, dass der Ausgang des Referendums zu Stabilität und Sicherheit in der Türkei beiträgt, könnte sich aber bald als ein Fehler herausstellen.

Der Aufschwung der vergangenen Jahre ist vorbei!

Die Legitimation und Zustimmung für seine Politik hat sich Recep Tayyıp Erdoğan zu Beginn seiner Amtszeit durch den ökonomischen Aufschwung erworben, der in den 2000er Jahren zu beachtlichen Wirtschaftswachstumsraten zwischen 6% und 10% führte.

Dadurch konnte die Türkei Arbeitsplätze schaffen, das Gesundheits- und Bildungswesen verbessern, und in den ökonomischen Zentren Anatoliens, wie etwa Konya, bildete sich eine neue Unternehmerschicht, die das Rückgrat für die AKP  und Erdoğan bildet. Dabei profitierte die AKP wesentlich von Reformen, die noch von der Vorgängerregierung umgesetzt wurden, und die Türkei konnte im Sog des weltweiten Wirtschaftsaufschwungs der 2000er Jahre wachsen. Doch auch Erdoğan forcierte eine Politik, die Stabilität induzierte. Der Beitritt zur Europäischen Union wurde angestrebt, die KurdInnenfrage sollte politisch gelöst werden, ausländische Direktinvestitionen flossen ins Land.

Deutliche Abschwächung der politischen Stabilität in den letzten Jahren

Allerdings ist zu beobachten, dass seit der weltweiten Finanzkrise von 2008, von der sich die Türkei relativ schnell erholen konnte, vor allem die politische Stabilität des Landes abgenommen hat. Die von der Weltbank erhobenen Worldwide Governance Indicators (WGI) zeigen für die Türkei, nach einem Peak in den Jahren 2005 und 2006, eine deutliche Abschwächung der politischen Stabilität. Ein ähnliches Bild zeigt sich für Rechtsstaatlichkeit und die Mitsprachemöglichkeiten der Zivilgesellschaft, sowie der Rechenschaftspflicht öffentlicher Institutionen.

Die türkische Wirtschaft stagniert

Inzwischen deuten auch ökonomische Indikatoren darauf hin, dass an die Wachstumszahlen nach der Finanzkrise nicht mehr angeknüpft werden kann. 2015 wuchs die türkische Wirtschaft um 6,1%, für 2016 wird ein Wachstum von knapp 2% erwartet, auch die Prognose für 2017 scheint verhalten bei um 2% zu liegen.

Die Arbeitslosigkeit in der Türkei liegt mit über 12% auf dem Niveau der Negativ-Rekord Jahre zur Zeit der weltweiten Finanzkrise von 2008 und 2009. Die Lira hat gegenüber Dollar und Euro an Wert eingebüßt, ausländische Direktinvestitionen sprudeln mit einem Minus von 30% nicht mehr so einfach ins Land. Unsicherheit und Terrorismus führten zu einem Einbruch internationaler TouristInnen um 77% für den Zeitraum von Jänner bis November 2016. Und der türkische Privatkonsum ging 2016 um 3,2% zurück. Türkische Kleinunternehmer spüren die Krise, kleine Geschäfte werden geschlossen, Einkommensquellen versiegen.

Gleichzeitig zeigt sich die Türkei als ein politisch gespaltenes Land, hin- und hergerissen zwischen Erdoğan und Opposition, zwischen einem gesellschaftsliberalem Kurs und einem religiös argumentierten Konservativismus, zwischen Europa und Anatolien. Ein Präsident, der den KurdInnenkonflikt gewaltsam unter Kontrolle bringen möchte, eine Strategie gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) finden muss und seine Position gegenüber der NATO und Europa neu definieren muss. Dazu der Kampf gegen kritische Medien, RichterInnen, Universitätsangestellte und allen, die bezichtigt werden, der Gülen-Bewegung nahe zu stehen.

Für Unternehmen bleiben schwer kalkulierbare Risiken!

Nicht alle, aber viele der skizzierten Konflikte sind ein Produkt der AKP-Regentschaft der vergangenen 15 Jahre. Entgegen der Reaktionen der Istanbuler Börse, werden die politischen Risiken in der Türkei durch das Votum nicht zurückgehen. Der Machtzirkel um den Präsidenten wird noch souveräner, State Capture, also der Missbrauch öffentlicher Institutionen zugunsten privater Bereicherung durch die Machthaber wird zunehmen, damit einher gehen systemische Bevorzugung befreundeter Unternehmen und Gruppierungen, systemische Korruption und institutionelle Unklarheiten. Ein alles andere als kalkulierbares Risiko für Unternehmen. Wichtiger denn je ist eine systematische und gründliche Vorbereitung und Beobachtung der politischen Dynamik in der Türkei um die Auswirkungen auf das eigene Unternehmen einschätzen zu können.

Johannes Leitner

Dr. Johannes Leitner

Leiter des Kompetenzzentrums Schwarzmeerregion

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